Rauschert, Annemarie: Mondnacht, Kinderrat, Erinnerung, Abendlied

Durch meine Seele weht der Wind

Wie durch einen einsamen Baum,

Und alle meine Gedanken sind

Wie Vögel am Wolkensaum …

 

 

Mondnacht

 

Du warst so schön – Wann wird mir diese Nacht,

Wann diese Stunde wieder mir erscheinen?

Noch ist doch alles nicht zu End gebracht,

Und ist´s mir schon, als müsst´ ich darum weinen.

 

Hell überflütete des Mondes Licht

Dein blasses Antlitz, das sich zu mir neigte.

Ich sah dich an – und fühltest du es nicht,

Wie sich mein Sein zu dir hinüberbeugte?

 

Geliebter Mensch – wie still es bei dir war.

Ganz fern tat eine Uhr die Stunde kund.

Ich fühlte deine Hand in meinem Haar

Und deinen warmen Mund auf meinem Mund.

 

Kremsier, 1944

 

 

Kinderrat

 

Zwei Ohren zum Hören,

Zwei Augen zum Sehn –

Laß nichts dir entgehen,

Die Welt ist so schön!

 

Das Näslein zum Riechen,

Zum Schmecken der Mund,

Die Hände zum Greifen –

Verlier keine Stund!

 

Du brauchst keinen Reichtum,

Um glücklich zu sein:

Erobre die Erde!

Das Leben ist dein.

 

Coburg, 1953

 

 

 

Erinnerung

 

Und gerne geh ich noch die alten Wege,

Die wir zusammen oftmals sind gegangen,

Da wird mein Herz ganz still.

Die einsamwildverwachsnen Stege,

In denen tropfend junges Laub gehangen,

Ich nie vergessen will.

 

Weißt du noch, wie der Abendsonne Strahl

In schlanke Gräser stürzte, dass sie leise bebten?

Wie weit war da das Land!

Weißt du noch, wie wir feiernd manches Mal

Des Buchwaldes grünen Schlaf erlebten,

Von Sternen überspannt?

 

Du hieltest meine Hand und führtest mich.

Ich schloss die Augen, brauchte nichts zu sehn.

Da ging ich wie im Traum.

Doch wie der Nachtwind durch die Kronen strich,

So konnte er uns auseinanderwehn.

Nun trennt uns Zeit und Raum.

 

Coburg, 1959

 

 

 

Abendlied

 

Eine kleine Wolke

Steht am Himmelsrand,

Eine kleine Wolke –

Schmal wie deine Hand.

 

Grüne Buchenblätter

Flüstern leis im Wind

Alte Liebeslieder,

Die vergessen sind.

 

Schließe deine Augen,

Herz, und finde Ruh,

Und der Liebsten Hände

Leise fühlest du.

 

München, 1941