Kinder, Dietmar: Un-gereimtheiten

Gedichte zur Sprache bringen

(aus dem Buch Un-Gereimtheiten von Dietmar Kinder)

Ami-Deutsch

Die Werbebranche und die Umsatzbande
grenzen uns aus im eigenen Lande

Und wir zwei Esel, ich und Du
lassen das so einfach zu

 

Unterwürfig

In diesen Tagen ist es so weit
Nachäffen
macht uns kaum noch zu schaffen
Ami-Kultur macht sich überall breit
Wir übertreffen spielend die Affen

 

Anglomanie

Köln-München-Hamburg-Berlin
stets das gleiche Rasengrün
Imponiervokabel hochgestylt
angepaßt und abgeseilt
Wow, Hi und Fun als Spaß
UND ÜBERALL
McDonald’s Einheitsfraß

 

mundtot

man bestiehlt mich
man tritt mir mein Haus ein
man raubt mir meine Seele
denn man nimmt mir meine Sprache
und unsere Schriftsteller
unserer Dichter und Bedenker
die alles merken
selbst das, was sonst keiner merkt
merken nichts

 

Sprach-
Vermögen

Ich kämpfe nicht
für nationale Sicht;
ich bange nur
um die Sprachkultur.

 

Spießerglück

Exotisch aus entfernter Zone,
artfremd und weit verpflanzt
Gespreizte Pidgin-Idiome;
Hochsprache gründlich ausgefranst

 

Akzent-
verschiebung

Genormte Sprache
von Hamburg bis München
Genormte Sprache
von Köln bis Berlin
Verformte Sprache
von Frankfurt bis Dallas
Und der McDonald’s
ist auch überall gleich

 

Klassiker

Schiller und Goethe
voller Erstickungsnöte
Die Deutschen lernen
bei Mick Jagger Flöte

 

Platt

ist nicht
die Sprache der Wissenschaft
erst recht nicht
die der  Informatik
weil man mit ihr
mehr Nähe schafft
verliert man nicht
so leicht den Überblick!

Man erlaubt sich
noch gerne Gefühle
Leben findet
noch im Leben statt
Doch wer kann
In dem Gewühle
heute noch
so richtig Platt?

 

EUROPA

Wievill Sproche?
Wievill Kulture?
EU-RO-PA !
Ve-stoh-de ?
Kann mir enns ehne verohde
wäröm
mir imme bloß noh Amerika luhre?

 

Donnerwetter

En de Deutsche Hitparade
es dä Konfranzjeh ahm schwade:
Op Plazz 79, ich ben perplex
es tatsächlich ne deutsche Tex.
Immehin ehne onge hundert,
eh jooht Prozent, ben esch vewundert.

 

Vür-nehm

Wenn jehde Krahd
op Englisch jrölt
wihrd de eihje
Sproch flöck usjehölt
dann wihrd
us Loofe Jogging
un
jehde Jeck zom King

 

Mein Jott

Noch milljone Mol drieht sich de Ähd,
du kalls zick nöhlich en dä Ami-Sproch;
beß jezz dosendfach mieh wähd.
Wat meehnste,
wat dä do ovve donoh froch?

 

Sprachempfinden

Ich höre gern den Alten zu
Und Kindern, die nach Worten suchen
Den Zechern in der Schänke
Den Bauern wenn sie fluchen

Selbst Marktweibergezänke
würde ich schon bald vermissen!
Ich höre gern den Bayern zu
Und Friesen, die mit Worten sparen
Den Sachsen in der Menge
Den Pommern und den Schwaben

Und ostpreußische Klänge
werde ich schon bald vermissen!
Ich höre gern Franzosen zu
Italienern, die mit Worten malen
Den Ungarn und den Dänen
Ich höre gerne Sprachen

Bis auf dieses Ami-Deutsch
Sind wir schon so verschlissen?