Eine Reise ohne das kleinste Abenteuer ist wie ein Rezept ohne Salz. Diesmal erleben wir es gleich am Flughafen, wo wir von einer netten, aber unerbittlichen Polizistin ins Gebet genommen werden: wie wir hergekommen seien (im Taxi), ob wir unterwegs jemanden getroffen hätten (nein), ob das unsere Koffer seien (ja), ob sie oder unsere Rucksäcke von irgendjemand Anderem als uns geöffnet worden wären (nein) – puh, man merkt, dass es ihr ernst ist mit den Sicherheitsbestimmungen. Und das ist ja nun andererseits wiederum auch für unser Seelenheil gut. Mimi wird allerdings auch noch einer weiteren Behandlung unterzogen: Bei jedem Flug werden nun willkürlich ein paar Menschen aufgerufen, deren Handgepäck noch einmal ganz besonders gründlich durchleuchtet wird. Dafür dürfen sie dann auch als Erste ins Flugzeug. Ich nehme an, auch die Terroristen wissen all das und die werden sich schwer hüten, so früh da zu sein wie wir…
Als wir im JFK ankommen, ist alles grau und hübsch hässlich: die Riesenhalle, die wir sage und schreibe fast zwei Stunden Schrittchen für Schrittchen genieβen dürfen, obwohl fast alle Schalter besetzt sind und das Personal darüber wacht, dass wir ordentlich „verteilt“ werden. Ein Polizist mit Drogen-Schnüffelhund ist auch da. Wir sind allmählich etwas müde, als wir um 16 Uhr endlich durch die Kontrollen sind und im Bus sitzen, der uns zur Port Authority Station bringen wird, denn für uns ist es schon 22 Uhr, wir sind seit sechzehn Stunden auf den Beinen.
Aber an ein Nickerchen ist nicht zu denken, denn der Bus ist so schlecht gefedert, dass mein Rücken jedes Loch schmerzhaft verzeichnet. Von auβen sieht er ganz nett aus, aber innen ist er mit einer Art Fliegengitter ausgestattet, der das Hinausgucken sehr erschwert. Also döse ich so vor mich hin, bis wir nach guten 50 Minuten Rushhour Manhattan erreichen – und ich höchst erstaunt feststelle, dass die Straβen der Stadt viel schmaler, ja kleiner sind, als ich sie in meinem Gedächtnis 45 Jahre lang gespeichert hatte. Als ich damals, mit fünfundzwanzig, auf dem Kreuzfahrtschiff „Le France“ hier ankam, erschienen mir alle Streets/Avenues riesig. Nun, nachdem ich Singapur vor nur zehn Monaten gesehen habe, relativiert sich das.
Wir fahren am Times Square vorbei und sofort meldet sich mein ökologisches Gewissen: „Wieso müssen die schon am hellen lichten Tag diese gigantischen Leuchtreklamen anhaben?“ Mr. President, äuβern Sie sich mal dazu!
Den zweiten Bus finden wir erst nach einer halben Stunde quälenden Suchens, denn die Busstation ist wirklich riesig und noch dazu in zwei verschiedenen Gebäuden untergebracht. Aber wir sind ja dickköpfig und auch der brummige Fahrer, der offenbar kaum Englisch versteht oder spricht, kann unsere Freude, es mal wieder geschafft zu haben, nicht trüben. Hätten wir nämlich von JFK ein Taxi nach Princeton genommen, wäre das fast so teuer wie der Hinflug gewesen: 265 Dollar. Und so haben die beiden Senioretten nur 7,50 für die anderthalbstündige Fahrt bezahlt. Immer schön sparen!
Dieser Überlandbus ist wirklich bequem, aber auch hier ist an Schlaf nicht zu denken, denn ich versuche vergebens von den sehr netten und hilfsbereiten Mitfahrern rauszukriegen, WO genau wir in Princeton aussteigen müssen. Einer sagt zwar lieb „just press the red button“ – Schlaumeier, ja wo denn bitteschön, bzw. wann genau? Wir beschlieβen, bis zur Endstation durchzufahren und von dort aus ein Taxi zu nehmen. Je weiter wir kommen, über Brunswick und ein paar kleinere Ortschaften, desto mehr leert sich der Wagen, als fast zum Schluss – nur ein paar Miles vom Ziel entfernt und trotzdem „in the middle of nowhere“ – der Busfahrer sich an den einzigen Fahrgast (auβer uns) wendet, um ihm zu bedeuten, dass er nicht bis Princeton fahren würde. Wir erblassen – so abenteuerlich wollten wir es eigentlich nun doch nicht haben! Glücklicherweise weigert sich der andere Gast, auszusteigen – mit dem Hinweis, er habe bis zur Endstation bezahlt. Daraufhin brüllt der Fahrer den einzigen Satz, den er offenbar perfekt auf Englisch kann: „I work for money“ und ruft per Handy seinen Boss an. Eine Minute später fahren wir weiter, denn der Boss hat es so bestimmt. Hurra.
Also kommen wir endlich kurz vor zwanzig Uhr Ortszeit vor „unserm“ Haus an und werden gleich herzlich von unseren deutsch-amerikanischen Nachbarn Brigitta und Eric begrüβt. Sie hatten offenbar Order von unseren Tauschpartnern, uns abzupassen und zu berichten, ob wir auch heil ins Haus gekommen sein…. Wir gehen nur kurz durch unsern Palast (drei Etagen plus Keller und Nebengebäude, BMW vor dem Eingang) und nach einem kleinen Essen im Garten von „Tiger Noodles“ um die Ecke – von wo aus Mimi im Liquor Store nebenan uns eine Flasche Bier besorgt, was hier total normal uns sogar erwünscht ist – fallen wir um vier „innere Uhr“ morgens in unsre Betten.
Meins ist wunderbar und das ganze Schlafzimmer mit Balkon und Aussicht in den schönen Garten auch. Leider sind die Fenster vorhanglos, und so werde ich oft morgens vom Licht geweckt – allerdings auch vom wunderbaren Gesang unzähliger Vögel und der macht das Aufstehen zur Freude!
Nach dem Frühstück durchstreifen wir das Haus und bewundern die beiden Wohnzimmer – je eins für Winter und Sommer – nebst Ess- und Fernsehzimmer, alles ist sehr gediegen. Die Sofas sind riesig, im CD-Player gibt es gleich fünf Mulden, damit man nicht so oft aufstehen muss…. In meiner darf natürlich die Jacuzzi-Badewanne nicht fehlen. Auch die diversen Ahnen im schweren Rahmen gucken streng aus der Wäsche.
Im Winter mit Kaminfeuer mag das ja sehr gemütlich sein, aber uns ist das moderne Sommerzimmer mit Blick in den Garten angenehmer. Auβerdem liegt es neben der Küche, in der wir erst mal einigermaβen perplex vor sage und schreibe siebenundzwanzig (!) Schubladen stehen und Tage brauchen werden, um gleich auf den ersten Ruck die richtige aufzuziehen. Natürlich ist der Eisschrank riesig und zu unserem Erstaunen finden wir angebrochene Milchtüten, einen vergammelten Camembert und diverse andere Reste, so dass wir gleich erst mal aufräumen (beim Heimkommen werde ich in Paris Ähnliches vorfinden…)
Also auf zum ersten Einkauf – trotz strömenden Regens, denn wir haben ja auch einen überdimensionalen Regenschirm zur Verfügung. Drauβen ist es schwül-heiβ, und da wir die sehr kurze Nacht in den Knochen haben, gehen wir nur am kleinen Kobold vorbei bis zu den ersten Läden. Die Häuser, bzw. Villen gefallen mir ausnehmend gut und erinnern mich an Zehlendorf und Dahlem, allerdings mit dem groβen Unterschied, dass Zäune hier selten sind: man zeigt, was man hat (drei Autos – oh pardon, Wagen!- sind keine Seltenheit) aber auch Blumenbeete oder Salat und Gemüse werden VOR dem Haus gezogen – zur freundlichen Bedienung für Jedermann. Aber niemand macht das! Ebenso wird auf dem Spielplatz kein liegengelassener Ball oder ein Plastiktrecker wegkommen, das tut man hier einfach nicht. Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus — leider auch bei den Preisen der Lebensmittel! Alles das, was wir in Paris (!) als Kilopreis für Obst oder Gemüse bezahlen, gilt hier für ein Pound, also für nur mal 453 Gramm. Käse ist sehr teuer, Wein natürlich noch mehr. Und dann DIE Verpackungen! Obstsaft gibt es quasi nur ab 1,75 Liter, wir müssen richtig suchen, bis wir eine kleinere Flasche finden (und noch mehr eine ohne Zuckerzusatz!). Wie ein Single hier kaufen soll, ist mir schleierhaft! Das Zauberwort „Bio“ heiβt hier „organic“ und wird so ziemlich für alles gebraucht. Das Dumme ist nur: Das Gemüse schmeckt nach nichts. Ob Spargel, Kartoffeln oder Zuckerschoten – ganz egal, ob Bio oder nicht! Erst als wir Brokkoli aus Mexico und wunderbare kleine Paprika aus Guatemala kaufen, kommen wir geschmacklich auf unsere Kosten. Das Brot sieht sehr lecker aus, doch auch da hapert es gewaltig mit dem Geschmack – aber wenn man an die Riesenfelder und Monserato denkt, ist das alles eigentlich kein Wunder…. Mit dem Kleingeld komme ich schon relativ schnell gut zurecht, aber die Leute näseln entsetzlich und so habe ich doch erst mal ziemliche Mühe, sie zu verstehen, zumal sie auch kaum artikulieren. Allerdings machen sie das durch groβe Freundlichkeit und Zuvorkommenheit wieder wett. DAVON könnten sich sämtliche französischen Geschäftsleute eine Riesenscheibe abschneiden! Und noch etwas hat uns berührt beim Spazierengehen, dieses Schild:
Gut, Princeton ist eine Ausnahme – auch für Amerika! Hier leben nur ca. 30.000 Menschen, davon ungefähr 7500 Studenten und deren Professoren. Es gibt einen richtigen Stadtkern, den Palmer Square – total unüblich in den meisten amerikani-schen Kleinstädten – wo ebenfalls studiert wird. Vor allem aber gibt es hier die viertälteste und nun eine der berühmtesten Universitäten von Amerika auf einem immensen Campus. Architektonisch ist dort von Tudor-Style bis hochmodern (Jean Nouvel und Frank Gehry natürlich) alles vertreten.
Es ist ganz wunderbar, dort unter den zahlreichen – und gigantischen! – Bäumen spazieren zu gehen und dabei auch noch von jungen Männern gegrüβt zu werden, die ehrerbietig zur Seite treten, um uns auf dem gepflasterten Weg vorbei gehen zu lassen. So was gibt’s noch! „Courtesy“ ist das Zauberwort. Man kann verstehen, dass Albert Einstein, der in dieser Straβe wohnte, hier gerne gelehrt hat. Er hat übrigens das kleinste und witzigste Museum der Welt in diesem Laden, in welchem T-Shirts mit seinen Maximen neben Kaschmirpullovern angeboten werden.
Während meine Tauschpartner in Paris bei Temperaturen von 35 Grad und mehr nichts zu lachen haben, wird das Wetter hier immer schöner, und wir dehnen unsere Streifzüge durch das Städtchen aus, während „zu Hause“ jeden Dienstag die house-maid und am Mittwoch der gardener werkeln. Letzterer ist weiß und saust mit dem Rasenmäher in bewundernswerter Geschicklichkeit herum, während sein farbiger Gehilfe mit den obligaten Kopfhörern sich der Kanten annimmt und mit einer Art umgekehrtem Staubsauger das abgeschnittene Gras und die Blätter als Kompost in die Beete kehrt. Nach genau 20 Minuten geht es in die nächste Villa. Und danach sieht das dann so aus:
Reichtum hat schon was!
Am nächsten Tag nehmen wir zum ersten Mal die Räder, wobei Mi mir netterweise wegen meiner leider andauernden und ziemlich scheuβlichen Rückenschmerzen das Damenrad überlässt. Wir fahren runter zum Fluss Carnegie und freuen uns, dass es in dieser Stadt offenbar weder Mopeds noch Motorräder gibt (das sind meine persönlichen Feinde in Paris). Leider müssen wir nach einer sehr schönen Fahrt auf dem Trail – und einer lustigen Begegnung mit einem chinesischen Ehepaar, das sich um das soeben gefangene Abendbrot vom Mister streitet, weil die Fische nämlich versuchen, wieder in ihr natürliches Element auszubüxen – auch den langen Weg wieder hinauf, was bei der Hitze nicht so lustig ist.
Abends essen wir nun immer drauβen vor dem Haus auf einer Ecke des 10Personen- Tisches und genieβen den Vogelgesang und die putzigen groβen Eichhörnchen, sowie – für mich zum ersten Mal in meinem Leben! – die fireflies, also die Glühwürmchen. Wobei ich natürlich sofort das Lied von Paul Lincke summen muss, aber glück-licherweise über „flimmre“ und „schimmre“ nicht hinauskomme. Es sieht einfach wunderschön aus, wenn es wie von Zauberhand im tiefen Dunkelgrün des Gartens hier und da aufblitzt.
Einen der nettesten Abende verbringen wir bei unseren Nachbarn Brigitta und Eric, die gleich am ersten Mittag mit einer groβen Schale (hier gibt es nix in „klein“!) Erdbeeren vor unserer Tür im Regen standen und ich sie natürlich hereinbat. Wir unterhielten uns sehr angeregt zu Mimis Erleichterung auf Deutsch, da Brigitta Lektorin bei dem Verlag ist, der “Die Verwandlung der Welt“ von Jürgen Osterhammel herausbrachte, und Eric hier an der Uni deutsche Geschichte lehrt. Am Ende luden sie uns zu einem Barbecue ein und nun ist es sehr lustig, von ihrem Tisch aus auf Susannes und Davids – also auf ‚unser‘ – Haus zu schauen. Das Essen und der Wein sind köstlich (und ich bin etwas neidisch auf die Hausfrau, die dieses Gemüse so schmackhaft hinkriegt!). Wir unterhalten uns natürlich über Trump und sie sind entsetzt, was sie wohl am nächsten Morgen in der „Times“ wieder Unmögliches von ihm entdecken werden.
Anzumerken wäre, dass es zwei „Times“ gibt, die wir jeden Morgen auf dem Bürgersteig oder auf dem Perron vor dem Haus aufsammeln. In einem sehr speziellen Format (mehr hoch als breit), ist sie in blaues Plastik (ZWEI Tüten, damit sie ja nicht nass wird!) gekleidet für die „ The New York Times“, während wir uns mit grünem und nur dem Titel „The Times“ begnügen müssen. Immerhin steht auch dort alles Wissenswerte drin und zwar schon auf Seite vier z.B. über Macrons Wahlsieg und den Tod von Helmut Kohl. Sogar den 45. Geburtstag von Jean Dujardin erfahren wir so, wie schön … Ich löse mit Freude die Sudokus von Bronze bis Gold während wir „hängematten“ jeden Tag. Erholung pur.
Zu unserem nachbarlichen Gespräch wäre noch zu sagen, dass die beiden sich halb tot lachen über unsere Bemerkungen zum american way of life, den wir ja beide zum ersten Mal zwei Wochen lang praktizieren: zum Beispiel, dass sie keinen Sinn für die Umwelt haben, denn sie lassen eine Lampe die ganze Nacht lang brennen, und auch am hellen Mittag ist es gang und gäbe, nicht mit Strom zu sparen, da die riesigen Bäume vor den Fenstern das Tageslicht nicht genügend hereinlassen. Fuβgänger sind selten, daher werden die herabhängenden Äste über den Gehwegen auch nicht abgeschnitten…. Aber natürlich kritisieren wir nicht nur, sondern betonen auch, wie angenehm wir es empfinden, dass z.B. die Autos nicht wie in Paris auf einen draufhalten, sobald man eine Straβe überqueren möchte, sondern quasi 20m von uns entfernt anhalten und dass überhaupt hier alle Leute sehr langsam in der Stadt fahren, was für uns Fahrradfahrer ganz wunderbar ist.
Im einzigen „Shopping Center“ von Princeton – auch hier alles gigantisch – sind die Preise erheblich moderater als in den Geschäften des Zentrums. Zu meiner groβen Freude finde ich dort die „padded hangers“, die ich in Susannes Dressing entdeckt habe und die prima in meinen kleinen Kleiderschrank passen werden.
Wir bleiben gleich noch da für ein Konzert mit Cajun-Musik und staunen einmal mehr: um PUNKT halb sieben Uhr wird hier gegessen, ganz egal wo oder wie. Daher auch der 1. Satz von „The lady is a tramp“: She gets too hungry for dinner at eight!
Einen wunderschönen Sommersonntag verbringen wir im Freibad von Princeton – ein gewaltiges Gelände mit sage und schreibe Babybecken, Kleinkinderbecken, Olympia-Becken und Sprungturmbecken. Ich mache mir einen Heidenspaβ daraus, mit siebzig Jahren zum ersten Mal eine dieser „Megarutschen mit Kurven“ zu erleben! Der Eintrittspreis von 12 Dollar pro Tag liegt ausnahmsweise bei Weitem unter den in Deutschland und Frankreich praktizierten und die Sauberkeit der gesamten Anlage ist beispielhaft. Und Mücken gibt es hier erst ab Juli ….!
Unsere Zeit hier ist um. Es hat uns wirklich sehr gut gefallen, aber nun heiβt es: Auf nach NEW YORK!