Simona Musall bespricht: Gerald Güntner „In einem anderen Land, in einer anderen Zeit“

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Gerald Güntner
„In einem anderen Land, in einer anderen Zeit“ Geschichten aus dem Lande Böhmen.
Einhorn-Verlag+Druck GmbH
ISBN 978-3-936373-88-2
79 Seiten, 9,80 Euro

 

Mit einem idyllischen Wiesen- und Bergbild, umrandet von einem himmelblauen Einband, mit einem Titel, der an einen historischen Roman denken lässt, begegnet das Buch ,,In einem anderen Land, in einer anderen Zeit. Geschichten aus dem Lande Böhmen“ dem Leser. Die erste Geschichte ist „Die schwarze Katze“, von Edgar Allan Poes gleichnamigem Original inspiriert und in Erinnerung an denselben verfasst, kommt sie ein wenig gruselig und grotesk daher, denn ein junger Mann mit Namen Walter mietet ein Zimmer bei einer alten Frau, dessen große schwarze Katze ihr Lager vor dem Zimmer des jungen Mannes hat. Mit ihren „bernsteingelben Feueraugen“ (S.4) bereitet die eigenartige Katze Walter nächtliche Albträume. Anschließend erzählen sieben weitere Geschichten von dem Leben in Böhmen. Dabei begegnen sich in „Romeo und Julia in Prag“ zwei jungen Menschen, die sich ineinander verlieben. Eine Geschichte, die hoffnungslos romantisch beginnt, doch die in den weiteren möglichen Abschlüssen der Geschichte, die Güntner dem Leser darbietet, einerseits messerscharf, andererseits typisch „realistisch“ endet, wo nämlich der Romeo der Geschichte seiner Julia nach einem Treffen verspricht, sie anzurufen.

Eine weitere Geschichte, die mir besonders gut gefallen hat, ist „Die Uhr“. Hier erzählt eine Großmutter ihrem kleinen Enkel von ihrer längst verlassenen Heimat als einem natürlichen, glücklichen Ort. Sie erzählt ihm auch von ihrer hölzernen Wanduhr, die stehen blieb, als sie dieses Zuhause verlassen hat und die der kleine Junge nach dem Tod seiner geliebten Großmutter wagt aufzuziehen.

Gemeinsam haben alle Geschichten, wie der Titel des Buches es schon sagt, dass sie in Böhmen verortet sind. Dabei wird eine stille, fast schon ehrerbietende Lebensweise offeriert. Hierarchische Gesellschaftsstrukturen, die vor allem in „Romeo und Julia in Prag“ deutlich werden, begleiten das Schicksal der Figuren. Demhingegen lässt zum Beispiel die bäuerlich-religiöse Demut in der Geschichte „Der Ausbruch des Krieges“, in der Herta das Schwesternwohnheim verlässt, um nach Hause zu fahren, um ihrem übermüdeten Bruder Hoffnung zu bringen und ihre sterbende Mutter in den Alterstod zu verabschieden.

Mit „In einem anderen Land, in einer anderen Zeit. Geschichten aus dem Lande Böhmen“ bekommt der Leser nicht nur eine Ahnung des böhmischen Lebensgefühls, auch kommt er in Berührung mit der tschechischen Sprache, so zum Beispiel in „Der Schwejk“, wo ein Nachrichtenbericht im Radio in tschechischer Sprache wiedergegeben wird. Leider wird dieser nicht ins Deutsche übersetzt, so dass er für Leser, die die tschechische Sprache nicht verstehen, weitestgehend unverständlich bleibt.

Insgesamt taucht der Leser in eine vergnügliche, wenn auch bedrohte Welt ein; in Geschichten, die in einer hoch-anschaulichen, manchmal gar poetischen Sprache erzählt werden; eine Welt, die nicht nur von Nostalgie geprägt ist, sondern auch Lust auf klassische Musik wecken kann, wo in „Romeo und Julia in Prag“ ein Vergleich zwischen Beethoven und Schubert angestellt wird.

Über den Autor

Gerald Güntner, geboren 1941 in Eger, Studium der Philosophie, Germanistik, Geschichte und Politischen Wissenschaften, lebt heute in Stuttgart. Erschienen sind von ihm neben Gedichten, Erzählungen und Kurzprosa drei Romane: „Die Angst des Vogels im Käfig“ (1980), „Die Trauer im Lachen“ (1987) und „Schrödingers Kiste, Roman zur Jahrtausendwende“ (2010).