Häring, Wolfgang: Weihnachtlicher Schwabenstreich in Ulm

Viele kennen sie nicht, die Geschichte von den sieben Schwaben. Mutige Kerle hatten sich im ansonsten friedlichen Schwabenland einst zusammengetan, um ihr Ländle vor allen Gefahren und Unholden zu retten. Mit einem baumlangen Spieß bewaffnet ging die Suche nach Drachen, Riesen und anderen Ungeheuern los, wobei sich einer hinter dem anderen versteckte, nach dem schwäbischen Motto: „Karle, gang du voraus!“ Aber ach, schon beim Anblick der ersten schrecklichen Kreatur, die ihnen begegnete, es war ein verdutzter Hase, rutschte den Helden das Herz in die schon vollen Hosen. – Alles ein altes Märchen? Nein, diese sieben Schwaben – es mögen heute auch mehr sein – gibt es noch, und zwar ganz besonders mutige in der evangelischen Kirchengemeinde des berühmten Ulmer Münsters.

Als diese aus der Ferne vernommen hatten, dass es allerorten nur so wimmelt von schrecklich schwarzen Gefahren, auch von sprachlichen und sonstigen Kultur- Ungeheuern, wollten sie nicht feige beiseite stehen. Sie hörten von gefährlichen Negerküssen und giftigen Mohrenköpfen, die namenlose Helden allerdings schon mutig in den Schmutz getreten hatten. Sie hatten von einem bösartigen Jim Knopf mit entsetzlich verrußtem Gesicht gelesen, von bösen schwarzen Buben bei einem grauslichen Struwwelpeter, auch von einem ganz schwarzen, gefährlichen Piet oder von einem ebensolchen Tom in einer unheimlichen Hütte, der sich hinterhältig auch noch „Onkel“ nennt, um arglose Kinder zum Lesen zu verführen. Diesen Finsterlingen sollte es bald an ihre schwarzen Kragen gehen. Das alles ermutigte unsere tapferen sieben Schwaben und sie wollten sich ebenfalls ins kulturelle Schlachtgetümmel gegen finstere Gestalten und schwarze Bösewichte werfen. Sie nahmen ihren baumlangen Spieß auf, wünschten sich Glück, vorher aber noch einen göttlichen Segen im schönen Ulmer Münster. Ma ka ja nia wissa, wia´s ausgoht!

Aber was mussten unsere kühnen Schwaben dort sehen? Der Mesner staubte in einer Ecke der Sakristei gerade die Figuren der lebensgroßen Weihnachtskrippe ab, um sie demnächst in gewohnt schwäbischer Reinlichkeit vor dem Altar aufstellen zu können, so wie jedes Jahr. Aber – oh Schreck! Ein tiefer Schauder erfasste unsere Helden, ein wahres Grauen. Ihnen erschien schon hier – völlig unerwartet – ihr erster ernst zu nehmender schwarzer Kerl. Kein Drache, kein Riese, dafür aber ein entsetzlicher Mohr, ein pechschwarzer Neger, gerade wie aus dem Höllenschlund entstiegen. Von hinten kam der bewährte Kampfruf „Karle, gang du voraus!“, denn die Hosen hatten alle schon wieder gestrichen voll. Nur der erste, man nennt ihn Anführer oder auch ehrenhalber geistlichen Vorsteher, hatte mit bebender Stimme eine rettende Idee: „Der kommt in da Keller, dean schliaßr mr ei!“ Der Mesner versuchte noch halbherzig zu widersprechen und faselte etwas von Heiligen Drei Königen und Weisen aus dem Morgenland, die halt zur Weihnachtskrippe gehören wie Ochs und Esel auch. Der Schwarze da sei der Melchior und vertrete Afrika im Stall von Bethlehem. Unseren tapferen Schwaben mit den vollen Hosen war das aber in dem Augenblick höchster Gefahr egal: „Ab in da Keller mit deam schwarza Menschafresser, und dia zwoi andre Kasper glei mit!“ Von wegen Könige oder gar Weise aus dem Morgenland! – Und so soll es sich zugetragen haben mit den tapferen sieben Schwaben der evangelischen Kirchengemeinde im Ulmer Münster im Jahre der Geburt des unschuldigen Herrn 2020.

Nach diesem mutig errungenen Sieg über einen den sieben Schwaben noch ganz fremdartigen Feind mit dem unbegreiflichen Namen „Rassismus“ darf nun angenommen werden, dass unsere Helden trotz voller Hosen, vielleicht aber auch gerade deshalb, weitere Kampfarenen in und um Ulm herum aufsuchen werden. Die nächst beste böte sich sogar schon hier in der Sakristei vor den abgestaubten Krippenfiguren, eine Schlacht zum Beispiel gegen den gemeinen „Sexismus“, der fast immer nur als maskuliner Macho daherkommt und selten als reizend lächelnde Feministin in kurzem Röckchen. Die Auseinandersetzung mit diesem Finsterling müsste deshalb besonders listig erfolgen. Der Mittlere der sieben Schwaben wollt als mutiges Zeichen den ja immer nur männlich geborenen Christus anfänglich auch in den Keller zu dem verbannten Mohren stecken. Sein Hintermann hatte aber eine bessere Idee: Man solle doch nicht so hartherzig sein mit dem kleinen Christus hier. Man lege ihm doch einfach ein Schwesterchen, eine liebe Christa, mit in die Krippe. Außerdem bekomme jede/r im Krippenspiel, ob Esel, Hirte oder Engel ein vom nächtlichen Himmel abgezupftes Gender-Sternchen an den Hut gesteckt. Und somit sei auch der finstere Geselle „Sexismus“ in der Ulmer Weihnachtsgeschichte, zusammen mit dem bösen schwarzen „Rassismus“ des in den Keller verdammten Mohren, auf elegante Weise besiegt.

Nach einem zufriedenen, laut vernehmlichen „Ha, des kasch glauba, odr au et!“ werden sich die übermütigen Helden dann vielleicht dem nächsten Ungeheuer zuwenden, das leider unsichtbar zwischen den verbliebenen Krippenfiguren herumwabert. Es ist sogar ein übelriechender böser Geist mit der Fratze „Antisemitismus“. Hier werden sich nun unsere Münster-Schwaben erst mal ratlos am Kopf kratzen, denn so einfach ist gerade dieser Dämon nicht zu besiegen, ist doch diese/r Christus/a hier mit all seinem/ihrem lieblichen Gefolge nachweislich als Jude/üdin in Galiläa geboren, also im heutigen Israel! Nach langem Kratzen kam der letzte der sieben Schwaben auf eine glorreiche Idee: „Dr Jesus und älle andre sind an dr Donau bei os Schwauba auf´d Welt komma, ond dr Stall drzua isch´s Ulmer Münschdr!“ Damit hätten die mutigen Kerle vo dr Alb ra auch diesen Strauß erfolgreich ausgefochten – und in Ulm und um Ulm herum wären seitdem die bösen Geister der Sprache, Kunst und Kultur endgültig besiegt und all ihre Probleme gleich mit. „Koi Rassismus, koi Sexismus und koi Antisemitismus mea! So isch´s recht – und´s Ulmer Münschdr stoht ällaweil no!“