Marén Berg: Guten Tag Amerika, Mi und Ma sind wieder da! (2)

Wir beginnen unsere sechs Tage in New York mit — einer echten Berliner Curry-Wurst und einem Glas Budweiser! Beides sehr lecker und preiswert im Chelsea-Market, wo wir uns vom ersten Schock der „schönsten Stadt der Welt“ (davon sind sie alle hundertfünfzig Prozent überzeugt!) erholen. Es ist heiβ, das Taxi hat für die drei Kilometer vom Busbahnhof zu unserem Hotel über eine halbe Stunde gebraucht und wir sind schon nach nur zwei Kilometern zu Fuβ k.o. Im Hayden-Hotel, wo wir von unserer 16. Etage auf einen Dachgarten (zehn Etagen unter uns!) sehen können, dessen Besitzer jeden Morgen brav seine Tomaten begieβt, hatte ich gefragt, ob wir einen Bus nach Süden zum Markt nehmen könnten statt der Subway ? Der Mann an der Rezeption lächelte nur müde: „An einem Freitag zur Rushhour? Da kann ich nur abraten.“ Ähem, es ist erst halb drei Uhr nachmittags – aber tatsächlich steht wie schon am Vormittag Stoβstange an Stoβstange und so lobe ich Mi einmal mehr, die das Hotel gut ausgesucht und gebucht hat, denn wir sind nur 100 m von der Station „28 St“ entfernt. Wenn man das System der „Streets“ und „Avenues“, „uptown“/„downtown“ und East/West einmal begriffen hat, ist es gar nicht so schwierig, sich zurecht zu finden. Nur die Automaten sind in allen Ländern der Erde gleich blöd. Und so sind wir einer netten Dame – die offenbar selber in Eile ist – sehr dankbar, dass sie es sich trotzdem nicht nehmen lässt, uns zum Sesam der Wochenkarte zu verhelfen. Ab jetzt brauchen wir NUR noch zu lernen, wie man das Ding so schnell – aber nicht ZU schnell – durch den Schlitz schiebt, der die Drehtür frei gibt. Schön ist sie nicht, die New Yorker Subway (kein Vergleich mit Singapur!) aber praktisch und schnell. So fahren wir am Ende des Nachmittags nur vier Stationen zum Zentralbahnhof, der in vielen Filmen vorkommt und wirklich beeindruckend.

Eigentlich finde ich es immer viel schöner, die Reiseführer erst NACH einer Reise zu lesen, damit ich mich völlig unvoreingenommen dem Erlebnis „Grand Central Station“ hingeben kann. So habe ich gerade erst gelernt, dass diese im Stil der „Beaux-Arts“ am Anfang des 20. Jahrhunderts erneuert wurde, denn die ursprüng-liche Halle stammt von 1871. Dieser Kopfbahnhof hat die meisten Gleise der Welt, nämlich 67! Es gibt einen wunderbaren Flashmob auf Youtube zu bewun-dern, der 207 Menschen im Jahre 2008 zeigt, die 5 Minuten lang „erstarrten“, was die anderen Menschen im Bahnhof deutlich verunsicherte: youtube.com. Die Eingangsszene zeigt ganz kurz den Bryant-Park, in den wir uns nun auch begeben – die Diskrepanz zwischen dem Park und den Wolkenkratzern ist sehr beeindruckend.

Es sieht so aus, als ob „The One WTC“ gleich hier neben dem Park stünde, dabei ist es sogar Luftlinie mindestens fünf Kilometer weit entfernt….Der Park ist voller Menschen, die sich den unterschiedlichsten Beschäftigungen hingeben: eine Tanzperformance auf der Bühne, Akrobaten auf der Wiese, Picknicks überall, aber auch fein gekleidete Menschen im Nobelrestaurant an einer Ecke, an einer anderen gibt es ein typisches Pariser Karussel mit Edith Piaf Musik und überall stehen Schach- oder andere Spiele kostenlos zur Verfügung. Niemand schreit, alle – auch die Kinder – reden in normaler Lautstärke, niemand brüllt in sein Handy oder raucht (in Princeton gab es übrigens vor der öffentlichen Bibliothek ein Schild, das vor 265 Dollar Strafe warnte, wenn man auf dem freien Platz beim Rauchen erwischt würde!). Die ganze Atmosphäre hier ist friedliche Feierabendstimmung — total anders als die wuselige Hektik des Times-Square, den Mi schrecklich, ich aber lustig finde: Reklame auf die Spitze getrieben, quasi nackte Mädels, die tanzen und ebenfalls irgendetwas anpreisen müssen, die Polizei mitten drin (sehr schlau: die Wache ist gleich nebenan!) und das alles auf einer winzigen Fläche. Amerikanisch eben!

Zum Abschluss des Tages möchten wir noch eine Kleinigkeit essen. Es ist immer noch sehr warm um neun Uhr abends, aber wir finden einen Zweier-Tisch vor einem kleinen portugiesischen Restaurant unweit unseres Hotels. Mein Gazpacho und Mimis „Fingerling“ –Kartoffeln sind sehr lecker, aber dass wir für ein winziges Bierchen, in einem WEINglas serviert, 5 Dollar bezahlen sollen, finden wir wirklich übertrieben! Dazu kommen nämlich immer noch die berühmt-berüchtigten „Taxes“ – von denen man vorher NIE weiβ, wie hoch sie sind – und dann auch noch das Trinkgeld, der „tip“ (kommt übrigens von dem Satz „to improve performance/promptness“) der in diesem Land als obligat angesehen wird. Damit bin ich nun aber gar nicht einverstanden, wenn ich mich als Gast oder Kunde übers Ohr balbiert finde. Daher lassen wir auch keinen da an diesem Abend!

Am nächsten Morgen stärken wir uns in einer Art Kneipe mit einem typisch amerikanischem Frühstück: Mi Kaffee und Brownie und ich Spiegeleier mit Bratkartoffeln. Alles lecker, aber man muss „ sunny side (!) up“ zu den Eiern sagen, damit man sie nicht von beiden Seiten gebacken bekommt. Lustig! Jedenfalls bezahlen wir für zwei hier, was wir für ein Frühstück im Hotel ausgegeben hätten. Wir fahren nun schon ganz routiniert downtown bis zum Battery Park und machen uns auf zum Gang durch das Viertel der Wall-Street.

Am Sonnabend ist es hier ziemlich leer, zumal dies ja ein langes Wochenende sein wird, denn auch Geschäftsleute schlagen gerne mal die „Brücke“ über den Nationalfeiertag (nächsten Dienstag). Wir gehen über die Fulton Street und die „Broad Street“ bevor sie zum Broadway wird. Nach einem Abstecher zum Meer, wo Miss Liberty von ihrer Insel herüber grüβt, geht es weiter zum Rathaus, zur ältesten Kirche von New York, der St. Pauls Chapel, und danach endlich zum heutigen Highlight – dem ONE WORLD TRADE CENTER,seit 2012 das höchste Gebäude der westlichen Welt (nur von Dubai geschlagen) mit seinen symbolischen 541 m/1776 Fuβ, um das Gründungsjahr der USA zu feiern. Davon gehen zwar 124 m für die Antenne ab, aber der Eiffelturm mit seinen schlappen 324 m (mitsamt Antenne) kann da natürlich nicht mithalten. Ich finde das Design sehr elegant und schön, tagsüber jedenfalls – abends allerdings ist unser Tour Eiffel unschlagbar! Wir gehen durch eine gewaltige marmorne Halle und einen sehr langen Gang langsam aber ständig hinunter. An den Wänden hängen Bilder der Bauarbeiter, von denen viele sich geweigert haben, in Rente zu gehen, bevor die 11 Jahre dauernden Arbeiten fertig waren. Ihre Gesichter leuchten geradezu vor Freude und Stolz über ihre Leistung. Und wie recht sie haben! Die letzten Meter zu den Aufzügen legen wir inmitten von Felsgestein zurück, denn der 104 Etagen hohe Turm brauchte eine 20 Stockwerke umfassende, bombensichere Basis, die ihrerseits von einer 70 Tonnen schweren und über 60 Meter tief in die Felsformation von Lower Manhattan eingelassenen Konstruktion aus Stahlpfeilern gehalten wird.

Wir betreten den riesengroβen Aufzug und ich nicke Mi beruhigend zu, denn ich weiβ, welche Anstrengung es für sie sein wird, nun HUNDERTZWEI Stockwerke hinauf zu fahren – aber ich hatte nicht mit dem einzigartigen Erfindungsgeist der Amerikaner gerechnet! Während sich die Türen schlieβen, gehen nämlich wie im Kino die drei Innenwände als Leinwand auf und wir werden geradezu aus dem Felsgestein auf die mit Gras bewachsene Erde katapultiert und dann geht es mit rasender Geschwindigkeit — an die Konstruktion von New York von den Anfängen der Stadt bis heute. Und das alles in nur 47 Sekunden, das entspricht einer Geschwindigkeit von 37 Stundenkilometern – das heiβt also, dass man gar nicht alles genau mitbekommen kann und sogar Mi sofort noch einmal fahren möchte. Und das soll was heiβen!

Oben angekommen, im One World Observatory, das erst seit Mai 2015 zugänglich ist, werden wir aufgereiht wie auf dem Schulhof, und dann beginnt eine nur zwei-einhalbminütige Show, die uns alle zu Begeisterungsbezeugungen hinreiβt! Die Fenster dieser Aussichtsplattform sind nämlich geschlossen und auf dieser so entstehenden Leinwand wird New York gefeiert, wie es nur die Amerikaner – „There’s no business like showbusiness“ – können: einfach gewaltig und wunderbar, wie sie ihre Stadt lieben. Während wir alle wie verrückt klatschen und pfeifen, gehen wie von Zauberhand die Fenster auf und – unter uns liegt New York, Miss Liberty, die Inseln und ganz Manhattan. Das ist nun wirklich einmalig! Und das Schönste: Niemand drängt uns, wir können so lange bleiben, wie wir wollen und nützen das auch weidlich aus mit einem elektronischen Führer, auf dem wir die einzelnen Gebäude abfragen können und so auch noch eine ganze Menge über die Stadt lernen. Leider ist das Wetter nicht mehr so gut zum Fotografieren wie vormittags, aber ein paar Aufnahmen gelingen mir doch.

Nach diesem eindrücklichen Erlebnis geht es für uns wieder hinunter in die normale Welt – wo es leider regnet. Was uns aber nicht abhält, zu einem der beiden Gedächtnisbrunnen zu Ehren der Opfer des 11. September zu gehen. Es ist sehr berührend, deren Namen auf der Umfassung zu lesen und gleichzeitig den weiβen Vogel zu beobachten, von dem ich nicht herausbekomme, ob er mehr einer Friedenstaube oder einem Kriegsadler ähnelt. Wir werden sehr still.

Sonntagmorgen in Harlem erwartet uns eine herbe Enttäuschung! Vor Jahren hatten wir in San Francisco ein erhebendes Erlebnis in Form eines Gottesdienstes mit Gospelgesang – aber nicht nur! – gehabt, von dem wir heute noch beeindruckt sind. Wir durften nicht nur zuhören, sondern uns aktiv mit unseren schwarzen Mitmenschen beschäftigen, sie an den Händen halten und mit ihnen zusammen singen. Leider Gottes – kann man da nur sagen! – ist durch die vielen Touristen 20 Jahre später ein lukratives Business daraus geworden. Die Reiseagenturen haben viel kaputt gemacht, aber natürlich auch die Leute, die denken, dass sie in Shorts und Schlappen, mit umgehängtem Riesenrucksack und dito Fotoapparaten in eine Kirche kommen können.

Wir haben uns fein angezogen und nur einen winzigen Rucksack dabei, als wir uns vor der Canaan Baptist Church um halb zehn einfinden. Leider ist es so, wie unser Reiseführer vorausgesagt hat: die weiβen Touristen sind deutlich in der Überzahl und ein sehr unangenehmer „Ordnungshüter“ befiehlt uns, den kleinen Rucksack für ZEHN Dollar in ein Auto zu legen (wir bekommen eine Nummer) und wir werden regelrecht auf der Empore „geparkt“ – weit ab von unseren schwarzen Mitmenschen, die unten im Saal sitzen. Wir können dem Geschehen im Saal eigentlich nur über groβe Bildschirme folgen und ermüden schnell, denn erstens ist der Gospel-Chor nicht besonders (hier irrte unser Reiseführer ausnahmsweise) und zweitens müssen wir auch noch den Klingelbeutel über uns ergehen lassen – der hier eine vergoldete Schale ist, auf der man seine Dollarscheine ablegen darf, die dann von dort aus in Waschkörbe geschaufelt und weggebracht werden! Wir flüchten und schimpfen noch wie die Rohrspatzen auf dieses unheilige Geschäft, das sich für uns auch noch wie „umgekehrter Rassismus“ anfühlt, bis wir bei „Sylvia’s Soul Food“ ankommen.

Deren Brunch ist nun eigentlich mehr für den Corpus gedacht – aber die Seele beruhigt sich ebenfalls in der friedlichen und stilvollen Atmosphäre mit gutem Essen und einem „Mimosa“ –Aperitif, der sich als Sekt mit Pfirsichsaft entpuppt. Huhn, Fisch, Eier und Bratkartoffeln bauen uns wieder auf. Für 20 Dollar kann man wirklich nicht mehr verlangen, zumal uns am Ende auch noch eine talentierte, mutige und unerschütterliche Sängerin Ruth erfreut, der der Lärm der Gespräche, das Klappern des Geschirrs und das Gerenne des Personals offenbar nichts anhaben können (ich schaudere innerlich, aber naja, wenn sie’s so mag….).

Nun aber auf zum Broadway, das Musical wartet!

Vom Sondheim-Theater als solchem bin ich erst einmal enttäuscht – nix mit rotem Plüsch und Kronleuchtern, es ist nur ein schwarzer Kasten. Aber man sitzt gut, sogar oben auf den preiswerteren Plätzen und „ Beautiful Carole King“ ist einfach umwerfend gut gemacht: Das Dekor, die Kostüme und die Regie sind fabelhaft, alle Schauspieler singen und tanzen sich die Seele aus dem Leib – ihr Enthusiasmus ist ansteckend! Wenn ich auch leider die lustigen Pointen in den Dialogen nicht mitbekomme (dazu reden sie einfach zu schnell – genau wie wir hier :-)! so ist die Handlung doch relativ einfach und noch dazu „nach einer wahren Begebenheit“. Carole King ist vier Jahre älter als ich und ist eine sehr bedeutende amerikanische Songschreiberin bzw. Komponistin und später auch Sängerin. Von den Hits, die sie mit ihrem Ehemann Gerry Goffin schrieb, kamen viele in die Top Ten der 60ger Jahre, zum Beispiel „Locomotion“. Später schrieb sie für Aretha Franklin „Natural Woman“ und das war dann auch der Durchbruch für sie als Sängerin. Was ich besonders schön finde, ist, dass ich von oben den Dirigenten im Orchestergraben sehen kann – und dass ER all die Klavierpassagen spielt — toll!

WIE SCHÖN DASS ES YOUTUBE GIBT!  youtube.com

Beschwingt stehen wir wieder auf der 53. Straβe und da wir heute fast den ganzen Tag über drin gesessen haben, schlage ich Mi eine Busfahrt zum Central Park vor. Die klappt auch gut und schnell, wir fahren die vornehme Madison-Avenue hinauf und da passiert wieder eine dieser Begegnungen, die eine Reise so reizvoll machen. Es steigt eine füllige alte Dame mit Stock ein und fällt fast auf mich. Sie entschuldigt sich wortreich und beginnt mit mir ohne Umschweife ein Gespräch über —- Helmut Kohl! Der ist gerade gestorben und das geht ihr offenbar sehr zu Herzen. Sie schwärmt MIR vor, was der Mann alles geleistet habe für Deutschland und als ich ihr sage:„ I know all that because I lived it“, guckt sie erst etwas schief und dann lacht sie mich an und ich muss ihr haarklein von meinem Leben in Paris erzählen, bis sie kurz vor uns aussteigt. Lustig und nur alt vom Körper her, aber nicht vom Gesicht und Geist!

Wir haben von allen Seiten gute Tipps für New York bekommen und Eric, unser netter Nachbar aus Princeton, hat uns einen Rundweg um das Reservoir vorgeschlagen, also machen wir uns trotz der Hitze auf die Strümpfe, gemeinsam mit Joggern, Rollers und Radfahrern.

Wir laufen am Metropolitan Museum vorbei und ich bin einmal mehr erstaunt, wie sehr das Gedächtnis selektiv ist, denn ich hatte total vergessen, dass es neben dem Reservoir auch noch drei andre kleine Seen gibt. Am Ufer des gröβten lassen wir uns aufatmend zu einem kühlen Bier nieder, denn ein kleines (!) Glas Rosé kostet hier glatt 14 Dollar! Aber die Aussicht lohnt sich – sogar eine Gondel mit passendem Gondoliere zieht vorüber, und wir genieβen den Abend, der sich langsam auf den Park senkt!

Die Musik von den “Saints go marching in“ begleitet uns auf unserem Weg nach Hause. Ein schöner Tag ab Mittag!

Montagmorgen gehen wir direkt zu Fuβ vom Hotel los, Richtung Südosten. Wir sind bis jetzt jeden Tag 10 km gelaufen und heute werden es sicher genau so viele. Unser erstes Ziel ist die High Line, eine alte Güterbahnlinie, die zu einem sehr angenehmen Fuβweg umgewandelt worden ist — und wie ein Zwilling unserer „Promenade plantée“ in Paris ähnelt.

Es ist heiβ, aber auszuhalten, und wir sind gespannt auf das Whitney-Museum, das am Ende des Weges auf uns wartet. Es wurde von Renzo Piano gebaut.

Wir haben Glück: es gibt eine Mobile Ausstellung von Alexander Calder und ich bin völlig begeistert, zumal ich nicht wusste, dass er der Erfinder dieser Objekte ist, die ich als Teenager – sehr viel bescheidener natürlich – auch gebastelt habe. Und sofort bekomme ich wieder Lust, es noch einmal zu probieren. Zitat von Calder: „Wenn alles klappt, ist ein Mobile ein Stück Poesie, das vor Lebensfreude tanzt und überrascht.“

Nachdem wir uns im Hotel zwei Stunden ausgeruht haben, geht es wieder los, diesmal in Richtung Greenwich Village.

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