In Lutz Rathenows Wende-Buch „Der Liebe wegen“ (2009) stehen sich zwei Geschichten gegenüber, die unterschiedlicher kaum sein können. Wo ein Mädchen um Liebe kämpft und eine Frau nach Liebe sucht, ist der aufklärerische Gedanke einerseits humorvoll verpackt und andererseits spielerisch gestaltet. Während eine Seite durch latenten Perspektivwechsel chaotisch anmutet, fixiert die andere durch unmittelbare Präsenz, nicht zuletzt aufgrund einiger Elemente aus Märchen und Mythen. Eine Prinzessin wird in „Spieglein im Gesicht“ zur Königin. Auf der Suche nach einem geeigneten Spiegel tyrannisiert sie ihre Untertanen mit Geltungssucht und Eitelkeit um ihn dann endlich in den Augen eines jungen Mannes zu finden. Ein Journalist gewährt in „unerwartetes Glück“ Einblicke in seine absurde Gedankenwelt. Auf der Jagd nach einer aufregenden Geschichte findet er schließlich Zweisamkeit.
Geschmückt mit einem kleinen Gedicht und schönen Wortneuschöpfungen wie „Volksglücksschmiede“, besitzt das Buch einerseits genügend Tiefe für poetisch interessierte, lässt aber andererseits genügend Raum für witzige Begegnungen, wenn Frau sich knutschend auf ihren Traummann stürzt um festzustellen, dass er bereits gestorben ist. Der Ausdruck „Wende-Buch“ beschreibt hier nicht nur die Beschaffenheit des Buchs, dass man es also drehen und wenden muss um die jeweils andere Geschichte lesen zu können, sondern ist auch eine Anspielung auf das wieder aktuelle Thema der deutschen Wende von 1989, denn einige der dargestellten Figuren erinnern mit ihren grauen Uniformen an das ehemalige DDR-Regime.
Beide Geschichten werden von den Illustrationen Frank Ruprechts begleitet, die teilweise anspruchsvoll, teilweise kindisch, durch ihren symbolischen Ausdruckswert bestechen. Das Buch ist geeignet, jede Altersklasse zu unterhalten, da es sich weder für das Kind-Sein, noch für das Erwachsen-Sein entscheidet. Alles in allem umfasst es eine, manchmal mädchenhafte, fantasievolle Welt, die es zu erleben lohnt.
Besprechung: Simona Musall