Das Schlimmste ist das Knirschen und Knacken „im Gebälk“ der Boeing 747, die nun schon seit einer geschlagenen halben Stunde über das Flugfeld vom Charles-de-Gaulle Flughafen rumpelt. Mi hat ihre Augen fest zugepresst und auch mir ist nicht so wohl wie sonst in meiner Haut – warum ist das verflixte Ding nicht schon längst in der Luft?
Glücklicherweise hat das Schicksal ein Einsehen und eine halbe Stunde später sitzen wir bei einem Plastikbecher Champagner (Pfui, Air-France!) vor einem netten Film, der uns die rund 11.000 km bis Singapur erst einmal vergessen lässt.
Über München sind wir schon beim Hühnchen mit Reis, über Sofia beim Dessert und bis Istanbul versuche ich noch, bei einem zweiten Film durchzuhalten – aber diese Neuverfilmung von „Heidi“ finde ich so grottenschlecht, dass mir die Augen zufallen. Ich nehme meine Ohrenstopfer, denn vor und hinter mir brabbelt es noch, ruckele mich so gut es geht in meinem Sitz zurecht und dann schlafe ich auch schon.
Mitten in der Nacht wache ich auf und nun ist alles gespenstisch leise, eine Stewardess huscht mit Wasser herum, aber sonst hört man nur das Brummen der Motoren. Während ich mir meinen schmerzenden Nacken massiere, habe ich plötzlich einen Wunschtraum. Während wir über all diese Länder fliegen, die im Kampf mit irgendwem liegen: Iran, Pakistan, Indien usw. träume ich Folgendes. Wie wäre
es denn, wenn unser Flugzeug, anstatt Abgase, die zum Treibhauseffekt führen, Seifenblasen, Blütenblätter, Schmetterlingsflügel, Luftballons oder ungefährliche Feuerwerkssterne ausstoβen würde ? Die Menschen wären erst so verblüfft und dann so entzückt, dass sie aufhören würden, sich einander die Köpfe einzuschlagen…..
SINGAPUR
Groβe Enttäuschung: die Waldhalle mit Schmetterlingen, auf die ich mich so gefreut hatte, befindet sich im Terminal 3 und wir kommen natürlich im 1 an. Schade! Ich sitze einigermaßen missmutig im Sammeltaxi, in Richtung Stadtmitte. Vor dieser Reise hatte ich mich etwas schlau gemacht, da bei Geographie mal wieder geschlafen: in dem Stadtstaat Singapur leben 4 Millionen Einwohner, fast zwei Mal so viel wie in Paris ‚ intramuros‘ – und das alles auf dieser relativ kleinen Halbinsel! Der Flughafen ist nur 20 km vom Zentrum entfernt (zum Vergleich: 35 km für Charles-de-Gaulle).
Also erstaunt mich nicht so sehr die banale Hässlichkeit der Wohntürme in den Vorstädten wie deren unglaubliche Höhe. Früher, vor den Wolkenkratzern Amerikas, redete man von „haushoch“ oder „turmhoch“ – hier habe ich das Gefühl von „erdrückendhoch“, vor allem im Chinatown-Viertel, wo wir nach einer geschlagenen Stunde ankommen, da wir die letzten Gäste sind, die ausgeladen werden.
Allerdings haben wir so kostengünstig schon mal einen Eindruck von den Entfernungen in der Innenstadt bekommen: zu Fuβ gehen kann man hier vergessen, die Distanz zwischen zwei U-Bahnstationen ist gleich groβ wie die von drei Stationen in Paris! Ich sehe auf der ganzen Fahrt VIER Fahrräder….
Mireille hat ein Doppelzimmer in einem kleinen einfachen Hotel am Rand von Chinatown gebucht – „einfach“ heiβt in dieser extrem teuren Stadt immer noch 130 € die Nacht.
Dafür haben wir alles, was wir brauchen und sogar eine Maschine für einen „early morning coffee/tea“ – aber kein Fenster. Nun ist uns das herzlich egal, da die Luft so feuchtheiβ ist, dass man sowieso die Klimaanlage braucht und die nützt ja bekanntlich nichts bei geöffnetem Fenster.
Als wir vor die Tür treten, ist es schon stockdunkel um sieben Uhr abends. Der Verkehr braust an uns vorbei, unser nur vierstöckiges Hotel verschwindet fast zwischen den Wolkenkratzern, von denen mich einer besonders beindruckt, weil er „berghoch“ ist und eine Art Haube aus rotem diffusem Licht auf dem Dach hat –fast wie ein Drache (der stellt sich am nächsten Tag als Antenne heraus…).
Wir gehen um zwei Ecken und stehen in einer Straβe, wo es heftig nach Weihrauch riecht und jedes zweite Haus ein Restaurant oder ein kleines Geschäft ist, wo typisch touristischer „Mimeldreck“ (wie mein Groβvater zu sagen pflegte) angeboten wird. Ich muss gestehen, dass sich mir der Reiz dieses Viertels nicht erschlieβen will – San Francis-cos Chinatown war hundertmal schöner und interessanter. Allerdings sind wir inzwischen auch rechtschaffen müde uns essen nur ein kleines Gericht, trinken ein chinesisches Bier (naja…) und gehen dann sofort schlafen.
Am nächsten Morgen sind wir wiederum dort, denn die nächstgelegene U-Bahnhaltestelle beginnt in dieser Straβe
mit den typischen Kolonialbauten, den ebenfalls typischen Sonnenschirmen der Asiatinnen, die alle die Sonne scheuen wie der Teufel das Weihwasser, und den riesigen Hochhäusern im Hintergrund.
Also auf geht’s in die wunderbar saubere und ruhige U-Bahn! Strafen bewirken doch Wunder: in den geschätzten
10 Bahnen, in denen wir fahren und überall in den Gängen habe ich EIN Stück Papier gesehen (darauf stehen 150 € Strafe!). Niemand läuft oder schubst Mitmenschen zur Seite. Auf den Stationen sind vor jedem Wagen am Boden ein riesiger roter Pfeil mittig und je rechts und links fächerförmige kleine grüne Pfeile auf den Boden gemalt, so dass unschwer zu erkennen ist, was von den Fahrgästen erwartet wird. Und ALLE halten sich dran, lassen ihre Mitmenschen aus-und einsteigen ohne Gedrängel und Gequengel „with a smile on your face“. In jeden Wagen befinden sich Plakate, die diesen Slogan, „mach ein Lächeln fest“ mit riesigen Smileys verbreiten und offenbar funktioniert das, denn es gibt sogar Menschen, die beim Eintreten ein freundliches Nicken für die Anderen bereit halten. Liebe Frau Bürgermeisterin Anne Hidalgo, könnten Sie sich bitte eine Scheibe davon abschneiden anstatt so etwas total Unnützes, ja Hirnverbranntes wie einen FKK-Strand mitten in Paris vorzuschlagen??
Natürlich wird jede Ansage für die folgende Station erst in Englisch und dann in Malaiisch gehalten, und bei der letzteren hören wir jedes Mal ein „ appy, appy“ was wohl so viel wie ‚happy, happy‘ heiβen soll, denn „your ad“ ist nicht „Ihre Reklame“ sondern „Ihr Kopf“ —daran muss man sich erst mal gewöhnen wie an den „stimmt rice“, wie der „steamed“ Reis hier ausgesprochen wird . Jedenfalls steigen wir richtig beschwingt „happy happy“ aus der U-Bahn in das originelle ehemalige Armeeamphibiengefährt zur „Duck-Tour“ durch die Marina-Bay von Singapur um. Nach den ersten 500 m auf der Straβe geht es stracks ins Wasser – natürlich unter dem fröhlichen Gekreische sämtlicher anwesenden Kinder ! Aber auch wir finden das lustig und werden sofort von der Skyline der Bay überwältigt.
Das fantastische Marina Bay Sands Hotel ist quasi eine Stadt in der Stadt: Oben auf drei konisch zulaufenden Hochhaustürmen ruht ein 150 m langes Dach, auf dem es einen herrlichen Garten mit Palmen und einem Pool gibt.
Rund um die Marina Bay wurden luxuriöse Hotels, Gärten und Theater auf neuem, aufgeschüttetem Land gebaut, das vor 50 Jahren noch Ozean war. Diese Landrückgewinnung hat die Stadt um einen Stadtteil bereichert, der sich total von dem sogenannten historischen Distrikt unterscheidet – dort Vergangenheit mit Gebäuden, die man auch schon anderswo gesehen hat, hier die Zukunft.
Nachdem wir am riesigen „Brunnen des Reichtums“ noch ein bisschen „Qi“, also positive Lebenskraft getankt haben, stärken wir uns nach dieser originellen Rundfahrt erst einmal mit dem berühmtesten Gericht der Stadt, einem Krebs mit einer Chilisoβe, die so scharf ist, dass sie mich vergessen lässt, wie Krebs eigentlich schmeckt…
Am Nachmittag bewölkt sich der Himmel immer mehr und wir geben schweren Herzens den vorgesehenen Besuch im Botanischen Garten auf und fahren zurück zu Marina Bay. Diesmal wollen wir die „Gardens by the Bay“ mit ihrer üppigen Vegetation betrachten. Die faszinierenden Bäume aus Stahl, 25 bis 50 m hoch, bilden enorme hängende Gärten, denn sie sind von einer beeindruckenden Zahl von Orchideen, Farngewächsen und tropischen Schlingpflanzen bedeckt.
Wir haben Glück im Pech: weil der Himmel immer düsterer und drohender wird, geht die Beleuchtung heute vorzeitig an, und wir erleben, wie die Menschen hier den Herbstanfang als Fest feiern: mit farbenfreudigen Installationen.
Übrigens sind diese Bäume gleichzeitig Kühltürme für das Wasser, das die beiden riesigen „Muschel“- Gewächshäuser verbrauchen, die wir am letzten Morgen von der Bar des Hotels aus sehen:
In der letzten U-Bahn, die wir nehmen, bevor wir zum Flughafen fahren, habe ich noch ein nettes kleines Erlebnis.
Neben mir sitzt eine ältere, gut aussehende Dame und ich erlaube mir, sie auf Englisch zu fragen, was das „appy, appy“ zu bedeuten habe. Sie antwortet freundlich, dass sie leider kein Malaiisch spreche oder verstünde, wolle sich aber gerne bei ihrer Nachbarin erkundigen. Das tut sie auch, mit genau demselben Ergebnis und wir lachen alle drei zusammen über dieses kleine Mysterium, das ich fürs
Erste auf Eis lege.