Simona Musall bespricht – Harald Ecker: Ein Hai im Fenster und andere Erzählungen

Harald Ecker: Ein Hai im Fenster und andere Erzählungen
Edition Solitär im Geistkirch-Verlag, Saarbrücken
ISBN: 978-3-938889-15-2
330 Seiten, 19,80 Euro

37 Erzählungen in insgesamt 14 Kapiteln bieten dem Leser des Buches „Ein Hai im Fenster“ von Harald Ecker Geschichten vielfältiger Thematiken.
In dem Kapitel „Leben und Tod“ zum Beispiel handelt die Geschichte „Nicht gratta culo“ von einem Seemann, der mit seinem Boot in einen Hafen schippert, an dem ihn keiner erwartet. Und eigentlich weiß der Seemann auch selbst nicht so recht, was er an diesem Hafen zu finden gehofft hatte. Diese Erkenntnis lässt ihn ein letztes Mal aufs Meer hinausfahren.

In dem Kapitel „Die Vergangenheit lässt nicht los“ hingegen sind die Erzählungen der Zeit um den zweiten Weltkrieg gewidmet. So wird in „Dörfliche Idylle“ ein kleiner Junge von einer alten Frau, die im selben Dorf wie seine Tante lebt, verkleidet. Sie lässt ihn einen Vers aufsagen, den er immer falsch zitiert, da er die Worte nicht richtig aussprechen kann. Die Leute, denen er den Vers in seiner Verkleidung vorsagt, lachen darüber. Nur sein Vater zu Hause lacht nicht. Und es stellt sich heraus, dass der Vers einen Juden verhöhnt. Mit Erzählungen wie dieser macht Ecker darauf aufmerksam, wie wichtig es ist, dass wir über die Dinge, die wir tun, nachdenken, auch wenn wir sie von Autoritätspersonen aufgetragen bekommen.

Mit anschaulichen Beschreibungen, zum Beispiel des Wetters in Italien (Nicht gratta culo) oder des Waldes (Bangnis), bettet Ecker seine Erzählungen in bildhafte Szenerien, die sich vor dem geistigen Auge des Lesers Stück für Stück aufbauen und ihm die Figuren der Geschichten näher bringen. Ausgewählte Gedichte und Zitate, zum Teil von berühmten Persönlichkeiten, wie Goethe, Kafka, Shakespeare und Sophokles, zum Teil von Ecker selbst, begleiten die einzelnen Erzählungen und unterstützen sie thematisch. Sie stehen am Ende jeder Erzählung und laden somit dazu ein, noch einmal tiefgründig über den Sinngehalt der jeweiligen Geschichte zu reflektieren. So tritt das Buch gewissermaßen in einen stummen Dialog mit seinem Leser. Im Laufe des Buches überschreiten die „Erzählungen“ jedoch die Grenzen der Gattung Prosa und verwandeln sich in einen Strom philosophischer Gedanken über Gott und die Welt.

Besonders spürbar ist diese Wende zum Beispiel in der Erzählung „Dichtung und Wahrheit im Falle eines traumatischen Kindheitserlebnisses“. Denn hier stellt Ecker zwei Versionen eines selben Erlebnisses gegenüber, die er in dem Unterkapitel „Lohnt eine Quintessenz zu beiden Versionen?“ bespricht. Dabei geht es um die Wirkung der Geschichte und die Verhaltensweisen der Figuren und wie sich diese Verhaltensweisen auf den realen Menschen übertragen lassen könnten. Auch in dem darauf folgenden Kapitel „Der Sinn der Vergangenheit“ sinniert der Erzähler über Gerüche und Geschmäcker und schließt diese mit der Referenz, dass sie Erinnerungen zu wecken in der Lage sind. In „Eigenschaften von Schöpfer und Werk“, stellt der Autor Fragen wie zum Beispiel „Wie gestaltet sich der Lauf der Zeiten bei Gott (so es ihn gibt) und Künstler selbst? Wie nimmt der Mensch das Schöpfungswerk beider auf?“. Diese sind jedoch nicht eingebettet in eine Erzählung, sondern werden unmittelbar gestellt. Als Leser läuft man hier Gefahr, sich zu fragen, ob man nun ein Buch mit Erzählungen liest oder ein autobiographisch geprägtes Buch eines Autors, der sich philosophische Fragen stellt.

Fazit
Insgesamt handelt es sich bei „Ein Hai im Fenster“ um ein Buch, das vor allem durch seine raffinierten Erzählungen die Freude am Lesen weckt.

Über den Autor
Harald Ecker (*1939) ist Justizrat, Rechtsanwalt und seit vielen Jahren Autor und internationaler Fachjournalist für Weine, Spirituosen und die feine Küche. Zuletzt erschienen die Bücher »Bordeaux – Weine und Chateau« (1994) und »Die Welt der Weine – Die Kunst des Verkostens« (2010)
Mit »Ein Hai im Fenster« betritt er erstmals literarisches Parkett.

Klappentext
Ein einsamer Segler trotzt Sturm und Regen. Erreicht er jemals den Hafen? Ein Dreijähriger verlässt eine Festgesellschaft, verirrt sich bei der Rückkehr in einer leer stehenden, spiegelgleichen Etage desselben Hauses und erleidet einen unvergesslichen Albtraum. Zwei sich völlig Unbekannte begegnen sich und erleben ein absurdes Durcheinander, als sich nach und nach ergibt, dass beide denselben Vor- und Nachnamen haben. In den Erzählungen dieses Buches zeigt sich, was Menschen in der Vielfalt ihres Daseins bewegt und widerfährt: Leben und Tod, Liebe und Hass, Freude und Trauer, Glück und Albtraum, Kurioses und Phantastisches, Lachen und Weinen, Kindheit und Alter, eigen- oder fremdbestimmte Identität, Dichtung und Wahrheit, Kunst und Natur.